Schlaf Kindlein, schlaf (doch endlich).
Da sind wir also, 2021. Ich hoffe, du hattest einen schönen Jahreswechsel, wenn auch vermutlich etwas anders als die letzten Jahre. Meiner war es jedenfalls. Und das hat nichts mit den „noch immer“ oder „schon wieder“ bestehenden Lockdown Regeln zu tun. Ich habe ihn so verbracht wie schon seit mindestens 20 Jahren nicht mehr: schlafend. Und ich sage dir, es war herrlich. Irgendwie total erfrischend am 1.1. des Jahres erholt aufzuwachen und zu wissen, dass nun ein ganzes neues Jahr vor einem liegt. Auch wenn ich persönlich von diesem „new year, new me“ nicht viel halte, finde ich, ist es doch ein Gefühl wie am Beginn eines neuen Buches. Überhaupt ist, wie ich finde, gut schlafen und erholt und ohne Wecker aufzuwachen etwas, das schon fast Wellness-Charakter hat. Herrlich! Vorausgesetzt natürlich man kommt dazu.
Die Achillesferse der Elternschaft
Und da sind wir auch schon angekommen bei der Achillesferse der Elternschaft: der Babyschlaf. Es gibt wohl kaum ein Thema, das so oft und von so vielen Menschen (auch jenen, die keine Kinder haben!), thematisiert, diskutiert und beurteilt wird wie der Schlaf (m)eines Babys. „Und schläft sie schon durch?“ „Wie oft in der Nacht kommt sie denn noch?“ „Ist sie eine „gute“ Schläferin?“ „Hör auf sie in den Schlaf zu stillen, sie muss lernen, alleine einzuschlafen. Das ist sonst schlecht für ihre Entwicklung.“ Und mein persönlicher Favorit: „Sie schläft in ihrem eigenen Bettchen nehme ich an? Die wirst du sonst nie los!“
Unsere kleine Zwetschke war noch keine 3 Monate alt als Fragen und Aussagen wie diese und ähnliche auf uns herein prasselten.
Vorweg möchte ich allen Besorgten sagen, dass ich keine/n 20-Jährige/n kenne, die/der noch bei seinen Eltern im Bett schläft. Irgendwann schlafen sie also doch alle. Allein. In ihrem Bett.
Diese Bedenken seien also ausradiert.
Aber wie kommt es nun, dass genau dieses Thema so heiß diskutiert ist? Ich denke, das hat mehrere Gründe.
Der Bizepsvergleich unter Müttern
Zum einen muss man hier so ehrlich sein und sagen, es ist schon ein bisschen wie der Bizepsvergleich unter Müttern. Aus irgendeinem Grund ist man unheimlich stolz, wenn das eigene Kind ohne häufige Unterbrechungen nachts und ohne Widerwillen untertags schläft. Mittlerweile ist es wissenschaftlich bewiesen, dass es zu einem großen Teil vom Wesen des Kindes abhängt, wie oft und wie lange es schläft. Dennoch klopft man sich insgeheim auf die Schulter, wenn sich im Gespräch mit anderen herausstellt, dass das eigene Kind besonders „gut abschneidet“. Oder man wischt sich erleichtert die Schweißperlen von der Stirn, wenn man hört, dass man nicht die einzige ist, die einen wachen Geist zu Hause hat. Es liegt also doch nicht am eigenen Versagen.
Gleichzeitig ist die Cousine der Bekannten ja selber Schuld, dass ihr Kleiner noch nicht durchschläft. Immerhin stillt sie ihn ja noch so viel und sie hat außerdem immer so einen Stress im Alltag, das kann sich ja nur auf den Sohnemann auswirken.
Die Großmutter des Partners ist ohnehin der Meinung, dass Schreien die Lungen kräftigt und den Charakter stärkt. Sie erzählt ganz stolz, dass es nur wenige Tage gedauert hat, bis ihre Kinder sich nicht mehr nachts gemeldet haben. Solle man sich mal ein Beispiel daran nehmen.
Natürlich gehen wir davon aus, dass jeder Mensch nur das Beste für sich, seine Kinder und seine Mitmenschen möchte. Also schauen wir uns doch mal an, woher diese Ideen, Mythen und Erwartungen rund um den Babyschlaf kommen.
„In Urzeiten hat nur überlebt, wer sich bemerkbar machte. Auch und vor allem nachts.“
Geschichte, Biologie und Wissenschaft
Liebe Oma, dein Rat ist überholt. Die böhmisch-deutsche Kinderärztin Johanna Haarer hat in Zeiten des Nationalsozialismus Schwangeren- und Erziehungsratgeber geschrieben, die eng an die nationalsozialistische Ideologie angelehnt waren. Sie wurden tatsächlich über Generationen weitergegeben und sind bis heute noch aus dem einen oder anderen Mund zu hören. Schließlich war das Buch ja von einer Ärztin geschrieben. Solche Helden in weißen Kitteln sowie PädagogInnen und ForscherInnen haben diese fragwürdigen „das Baby schreien lassen“-Methoden mittlerweile aber durch unzählige Studien widerlegt.
Man weiß nun, es ist die menschliche Biologie, die unsere Kleinsten nachts erwachen lässt. In Urzeiten hat nur überlebt, wer sich bemerkbar machte. Auch und vor allem nachts.
Außerdem stellt das Baby so vor allem in den ersten Wochen sicher, dass durch nächtliches Stillen die Menge an Muttermilch angekurbelt wird. Die bestellt es nämlich schon vor für die gesamte Stillzeit. Muttermilch wird außerdem binnen kürzester Zeit verdaut, so ist es nicht verwunderlich dass die schnell wachsenden Menschlein alle paar Stunden Nachschlag brauchen.
Man könnte jetzt meinen, dass also die Pre-Nahrung, sprich „Flaschenbabys“ besser schlafen und das ja vielleicht die Lösung sein könnte?
Auch das ist ein Irrglaube, der immer wieder zu hören ist und die eine oder andere übermüdete Mutter schon gegen ihr Bauchgefühl abstillen ließ.
Bevor ich mich aber auf Expertengebiet begebe, von dem ich in Wirklichkeit auch nur so viel weiß wie ich lese, überlasse ich das den KinderpsychologInnen, TherapeutInnen und SchlafspezialistInnen.
Lieber beschäftige ich mich mit der Frage, wie wir Eltern es in der modernen Zeit schaffen können, uns der uralten Biologie hinzugeben, sie anzunehmen und unsere Babys liebevoll beim Schlafen zu begleiten, ohne selbst den Verstand zu verlieren.
Von Mitteleuropa bis nach Costa Rica
Wenn wir also als reine Arbeitshypothese davon ausgehen, dass unsere Babys perfekt sind wie sie sind, schlafen lernen, wenn ihre Hirnreife es zulässt und sie bereit dazu sind. Wenn wir uns im Vertrauen wiegen, dass dies alles zu seiner ganz eigenen Zeit passiert – wo liegt dann das Problem?
Richtig in unserer Gesellschaft und deren Lebensweise, Werte und Normen. Eine weltweite Umfrage zum Thema wann von Kindern erwartet wird, dass sie nachts durchschlafen (wobei das Wort ‚durchschlafen‘ auch unterschiedliche Normen vorweist), ergab, dass Mitteleuropa und die USA die strengsten Vorreiter mit nur wenigen Wochen bis Monaten waren. In südlicheren Kulturen wie beispielsweise Indien rechneten Eltern mit etwa drei Jahren damit und in Costa Rica geht man sogar von fünf Jahren aus. Es ist also ganz deutlich, dass die jeweilige Kultur und Gesellschaft gewisse Vorstellungen und Ansprüche hat, auch an unsere kleinsten Mitglieder.
Ich denke, der stärkere generationenübergreifende Zusammenhalt und die Arbeitskultur könnten hier wesentliche Aspekte sein.
Eine Mutter, die ständig die Hilfe ihrer Mutter/Schwester/Großmutter hat und sich untertags ausruhen kann und nicht auch noch Haushalt und Job nebenbei schmeißen muss, hat womöglich mehr Verständnis und Kraft, um die schlaflosen Nächte besser wegzustecken.
Was ich damit sagen möchte, ist, dass wir meiner Meinung nach oft zu hohe Ansprüche an unsere Babys haben, genau wie an uns selber.
„Vielleicht könnten wir dann auch ehrlicher miteinander sein und uns ohne Konkurrenzdenken und Scham davon erzählen, dass das nun mal eben so ist mit kleinen Babys.“
No Drama, Baby.
Wenn wir also vielleicht lernen könnten, mit uns selbst und unseren Babys etwas nachsichtiger und verständnisvoller umzugehen, nach Hilfe zu fragen und es ermöglichen könnten, unseren Alltag zu entschleunigen, vielleicht wären die nächtlichen Schlafunterbrechungen ein bisschen weniger schlimm.
Vielleicht, wenn auch die Nachbarin und Mamas Cousine den gleichen Schritt gehen könnten und weniger beurteilen, würde dann auch der Druck an uns Mütter sinken, perfekt schlafende Babys zu haben. Wenn wir mehr ehrliche Social Media Profile sehen würden, die zeigen, wie das Leben mit Baby WIRKLICH ist. Die auch von kräftezehrenden Nächten und verzweifelnden Ablege-Versuchen zum Nachmittagsschläfchen sprechen würden. Vielleicht könnten wir dann auch ehrlicher miteinander sein. Uns ohne Konkurrenzdenken und Scham davon erzählen, dass das nun mal eben so ist mit kleinen Babys. Dass, die eben einfach nicht immer so supertoll schlafen. Denn so sind sie eben.
Und vielleicht wäre das dann alles ein bisschen weniger schlimm manchmal.
Wenn man dann auch Verantwortung für sein eigenes Hirn übernimmt und das ganze ein bisschen weniger dramatisiert, dann geht es auch wirklich irgendwie.
Und nein, ich sage nicht, dass es nicht wirklich wirklich grenzwertig ist manchmal. Denn das ist es! Und ja, es ist auch manchmal notwendig zu intervenieren und eine (bindungsorientierte) Lösung für die ganze Familie zu finden. Nicht umsonst gibt es Leute, deren Job es ist, solche Beratungen zu geben und zu helfen.
Ich möchte damit vielmehr dem Thema „Babyschlaf“ etwas Druck nehmen.
Möchte dir sagen, dass auch wir eine Beratung hatten. Vor meinem Elterndasein war mir eben nicht klar, dass es (SEHR VIELE) Babys gibt, die erst mal lieber in der Trage schunkelnd (ein)schlafen, anstatt sich alleine im Bettchen in den Schlaf zu träumen.
Ich möchte dich wissen lassen, dass es mir bzw. uns viel besser geht, seit dem wir das einfach annehmen. Und unsere Kleine ist unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse eine ganz hervorragende Schläferin!
Die eine Mama klagt über schlaflose Nächte, die andere über mühselige Tagschläfchen. So ist jedes Baby auf seine/ihre ganz besondere Art und Weise einzigartig. Auch wenn man sagen könnte „man kann eben nicht alles haben“, würde ich meinen, „alles hat seine Vorteile!“
Falls dein übermüdeter Geist also das nächste Mal getriggert wird, durch eine schlaflose Nacht oder eine Frage oder ein Gespräch darüber, überlege dir, welche Version du leben möchtest und wie du darüber denken möchtest. Deine eigene Einstellung dazu ändert nämlich nicht nur, wie du dich fühlst, sondern auch, wie du darauf reagierst und darüber sprichst. Und je mehr ehrliche und verständnisvolle Eltern wir haben, desto einfacher und natürlicher können wir ALLE mit dem Schlaf unserer Kleinsten umgehen.
Jeder wie er will
Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich nichts über Bettzeiten, Routinen, Wachzeiten etc. gesagt habe. Das liegt daran, dass ich der Meinung bin, dass hier jede Familie „ihr eigenes Ding“ finden muss, so wie mit allem. Ich habe selber gelernt, dass zu viele Köche den Brei verderben und ich selbst durch zu viele Informationen über „Do’s & Don’ts“, oft verunsichert war.
Wir haben nun alle „Regeln“ über Board geworfen und gehen mit unserem Baby und unserem Bauchgefühl und evaluieren täglich aufs Neue, was für uns funktioniert und was nicht.
Für mich bedeutet das jedenfalls, dass ich, um meine Ressourcen zu schonen, jetzt meinen Laptop zuklappe und heute mit meinem Baby gemeinsam ins Bett gehe.
Auf eine ruhige Nacht!
Jasmin Spanitz
Vermisst Du Dein altes Leben nicht?
Wenn sich alles nur mehr ums Baby dreht, bleiben eigene Bedürfnisse auf der Strecke. Wie man es dennoch schaffen kann, Inseln im Alltag zu finden, alte Routinen ziehen zu lassen und neue Rituale anzunehmen – darüber schreibt Jasmin in ihrer Mama-Kolumne. Ihr Motto: Besser unperfekt getan als perfekt gewartet.
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Zum Abschluss des Wahnsinns-Corona-Jahres 2020 blickt Jasmin nochmal zurück auf die letzten 5 Monate als Familie. Sie stellt fest, dass ihre Tochter zu ihrer Lehrmeisterin wurde.
Ein persönlicher Text übers Prioritäten setzen, Effizienz und Bewusstsein im Leben und der Paarbeziehung.
Zusammen ist man weniger allein
Jasmin teilt ihre November-Gedanken mit Euch, schreibt übers sich Helfen lassen, Lockdown-Laune und was die Quantenphysik schon immer wusste: We are all connected!
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