Zusammen ist man weniger allein
Ich habe mir den Buchtitel von Anna Gavaldas französischen Roman geliehen, um meine November-Gedanken mit euch zu teilen. ‚Zusammen ist man weniger allein’ – passt wie ich finde, hervorragend.
Wenn es eine Sache gibt, die ich schon in der Schwangerschaft geübt habe, dann ist es das: mir helfen zu lassen. Da hab ich wirkliches Verbesserungspotenzial. Ich bin ein Mensch, der gerne vieles selber tut. Das hat viele Gründe.
Die starke Frau von heute schafft alles. Alleine.
Zum einen lernt man ja als ‚starke Frau von heute‘ in der Welt alleine zurechtzukommen‘ (hierüber, könnte ich stundenlang sprechen) und wundert sich dann oft, warum einem nicht mehr automatisch die Tür aufgehalten oder die Taschen abgenommen werden. Die ‚starke Frau von heute‘ weiß sich zurechtzufinden und schafft alles. Alleine. Wir glänzen im Job, haben nebenbei ein Privatleben, sind sportlich und unsere Wohnungen schauen aus wie aus einem Ikea-Katalog. Eh klar, muss ja was gleich schauen, es wird ja auch alles auf Instagram gepostet. Dort sieht man nebenbei bemerkt, viele andere ‚starke Frauen von heute‘, die ihr Leben meistern, wo man sich manchmal fragt, ob ihr Tag mehr Stunden hat als der eigene, oder ob sie nicht doch Heinzelmännchen haben, die ihnen helfen, alles so ‚social media-gerecht‘ auf die Reihe zu bekommen.
Und ich kann euch verraten, das haben die meisten eben doch. Eltern, die auf ferne Reisen begleiten, um Abends auf die Kinder auf zu passen. Partner, Familie oder Angestellte, die in der Selbstständigkeit helfen. Haushaltshilfen, die sich um Wohnungen kümmern und, wenn der Stress doch mal überhandnimmt, gibt es Termine bei der Kosmetik, um die Spuren der Anstrengung verschwinden zu lassen. Natürlich setzt man gewisse Ansprüche an sich selbst, wenn es einem so vorgelebt wird. Wenn es ‚ja alle anderen auch schaffen’.
Wir müssen situationsflexibel werden
Zum anderen mag ich die Dinge einfach gerne so wie ‚ich sie mach‘. Ja, ich gebe zu, ob die Shirts zweimal oder dreimal gefaltet sind, macht im Endeffekt keinen merkbaren Unterschied. Und ja, ich gebe zu, ob mein morgendlicher Frühstücksbrei etwas dicker oder etwas flüssiger angerührt ist, ist meinem Magen vermutlich auch egal. Mir aber eben nicht. Man nenne es Ticks, Eigenheiten, Ego oder sonst wie. Fest steht, wir alle haben das auf die eine oder andere Art und Weise und das erst mal ab zu legen ist gar nicht so leicht. Wenn ich mir aber helfen lassen möchte, muss ich das. Und das ist auch gut so. Ich bin der Überzeugung, wir alle wachsen, indem wir aus unseren Gewohnheiten ausbrechen, uns auf neues einlassen – eben ‚situationsflexibel‘ werden.
„Quasi also schon am Weg zum Wochenbett-Relax-Profi, kam mir dann doch eine Kleinigkeit dazwischen: EINE WELTWEITE PANDEMIE.“
Da mir aufgrund meiner Postnatal-Yogalehrer-Ausbildung bewusst war, was für eine Ausnahmesituation das Wochenbett, also die Zeit nach der Geburt, ist, habe ich also schon in der Schwangerschaft begonnen, meine Einkaufstaschen peu á peu dankend abzugeben, mir ab und an Frühstück machen zu lassen und die getrocknete Kleidung einfach mal am Ständer hängen zu lassen. Einfach mal Kontrolle abgeben, Chaos entstehen lassen. Was eigentlich sehr angenehm und entlastend klingt, war für mein Wesen tatsächlich eine Herausforderung.
Quasi also schon am Weg zum Wochenbett-Relax-Profi, kam mir dann doch eine blitze kleine Kleinigkeit dazwischen: EINE WELTWEITE PANDEMIE.
Ach ja, da war doch was 2020.
Anstatt Bauch ausführen hieß es Masken aufsetzen
Als ein Mensch, der seine Ruhe genießen kann und mit Dachgartenarbeiten und Yoga erst mal eine gute Weile glücklich ist, war die beginnende Isolation Anfang März diesen Jahres, nicht ganz so dramatisch für mich im Vergleich zu manch meiner Bekannten. Ich postete täglich morgendliche Affirmationen und motivierende Zitate, Yoga und einige Fotos und Fortschritte meiner Schwangerschaft auf meinem Instagramkanal (@jasminspanitz). Bis mir irgendwann bewusst wurde, dass das auch schon das Einzige ist, was meine Freunde und Familie von unserem heranwachsenden Wunder mitbekommen. Anstatt mit Stolz meinen Bauch täglich ‚auszuführen‘, war Maskenpflicht und zu Hause bleiben angesagt. Gut, also doch wieder alles alleine machen.
Wo ist mein Dorf im Lockdown?
Zum Geburtstermin unserer Tochter Ende Juli waren zwar die Beschränkungen wieder lockerer, aber das ungute Gefühl saß tief. Es fiel uns schwer, Freunden und Verwandten bedenkenlos die Türen zu öffnen, jeder nicht zwingend notwendige Kontakt wurde vermieden und die Betreuung von Hebamme, Ärzten und Co. war mit Maske auf einer emotionalen Ebene dann eben doch nicht ganz dasselbe. So blieb dann also bis auf wenige Ausnahmen alles uns selbst übrig. Wir waren in der wahnsinnig intensiven Zeit des Wochenbetts, also nicht nur mit einigen anfänglichen Herausforderungen und dem neuen Eltern Dasein beschäftigt, sondern auch mit Waschen, Kochen und Putzen etc.
Da war sie also wieder, die ‚starke Frau von heute‘, wo sie doch so sehr geübt hatte, sich helfen zu lassen. Ganz klar hatte sie auch ihren ’starken Mann‘ an ihrer Seite. Wer allerdings schon ein Kind hat, weiß, dass es sprichwörtlich ein ganzes Dorf bedarf, um ein Baby zu versorgen. Eben Omas, Opas, Freunde und sonstige Verwandte.
Plötzlich schrie etwas „UNFAIR!“ in meinem Kopf
Jetzt ist November und wir befinden uns im zweiten Lockdown.
Ich sage euch ehrlich, als dieser ausgesprochen wurde, fiel mir das erste Mal meine Laune zusammen, was dieses ganze ‚Corona‘ betrifft.
Neumamasein, eine weltweite Pandemie UND Novemberwetter – der perfekte Cocktail für Schlechtwetter-Gedanken.
Ich fühlte mich beraubt. Meine Schwangerschaft hat kaum einer ‚in echt’ erlebt, unser letzter Urlaub als Paar zu zweit ist ins Wasser gefallen, ein paar meiner Freunde und ein Teil unserer Familie haben unsere kleine Tochter bis jetzt noch nicht sehen können und die ersten 4 Monate ihres Lebens haben wir, abgesehen von unzähligen Spaziergängen, quasi in denselben vier Wänden verbracht. Es schrie ‚unfair!‘ in meinem Kopf.
Wir sitzen alle im selben Boot
Und dann kam das: eine Sprachnachricht. Eine Sprachnachricht einer Freundin, die meine Gedanken diesbezüglich auf Social Media gesehen hatte und mir dankte, dass ich es ausgesprochen hatte. Denn schließlich sitzen wir alle im selben Boot! Das hat mich wieder erinnern lassen. An die vielen Videotelefonate aus dem ersten Lockdown. An die virtuellen Geburtstagsfeiern. An die Päckchen, die uns Freunde im Wochenbett vor die Tür gestellt hatten. An meine neue ‚Mama’-Freundin, die ich erst zweimal ‚in echt‘ gesehen hab, doch mit der ich mich jetzt schon trotz oder vielleicht gerade wegen all der Umstände aufs Tiefste verbunden fühle.
Mitten in dem Chaos sind sie da: unsere Freunde
Denn mitten in all dem Chaos, den schlaflosen Nächten und den ratlosen Momenten sind sie da: unsere Freunde. Auch wenn wir uns nicht so sehen können wie wir es uns wünschen, so spürt man sich doch irgendwie. Man ist verbunden. Mit manch meiner Freunde habe ich fast mehr täglichen Kontakt, als ich es vermutlich vorher hatte.
Treffen werden auf online umgelegt, viele Kursleiter inklusive mir haben teilweise kostenlose Mini-Kurse angeboten. Man telefoniert nicht nur mit seinen Verwandten, man video-telefoniert jetzt, um sich zu sehen! Ich habe noch nie so viele motivierende Tanzvideos und positive Zusprüche gesehen wie in den letzten Wochen und Monaten. Irgendwie scheint es, als würde die ganze Welt auf eine tragisch-schöne Weise ein Stück weit mehr verbunden sein.
„Es berührt mich, dass wir alle verbunden sind. Auf ganz magische Art und Weise.“
Wehmut und Freude in einem Screenshot gespeichert
Auch wenn vieles nicht so ist, wie wir es uns wünschen, wenn Umarmungen fehlen, von einem Lächeln unter der Maske oft nur die freundlichen Augen erkennbar sind, Baby-Kurse und sonstige Aktivitäten gestrichen sind und unsere kleine Tochter das Knüpfen ihrer Freundschaften ein wenig nach hinten verschieben muss. Trotz alledem und noch viel mehr möchte ich mich bewusst auf das Gute besinnen. Mir selbst und unserer Tochter zuliebe.
Ich entscheide mich dafür, die aktuellen Vorschriften und das Wetter für kuschelige Stunden zu Hause zu nutzen, danach die frische, kalte Luft bei einem unserer unzähligen Spaziergänge zu genießen, bunte Blätter zu bestaunen und mich auf das Rascheln des Laubes zu konzentrieren, welches unsere kleine Maus besonders fasziniert. Die Video-Telefonate mit ihrem Opa aus der Schweiz, mit Wehmut und doch Freude durch einen Screenshot und in unseren Gedanken für die Ewigkeit zu speichern und ihr Lachen, wenn sie neue Gesichter sieht, als umso besonderer zu sehen. Es berührt mich, dass das, was wir doch alle irgendwie wussten, wovon Philosophen oft sprechen und was die Quantenphysik schon längst bewiesen hat, nun ganz deutlich wird: wir sind alle verbunden. Auf ganz magische Art und Weise.
Meine neu erlernte Fähigkeit, mir helfen zu lassen, möchte ich mir beibehalten. Und die Erkenntnis, dass wir uns alle brauchen und wir, wenns hart auf hart kommt, ALLE füreinander da sind auch.
Ich bin gespannt, was das letzte Monat dieses Jahres noch mit sich bringt. Ich freu mich darauf und werde berichten.
Bleibt gesund!
Jasmin Spanitz
Jasmins Geburtsbericht: Meine Hausgeburt
Insgeheim wusste Jasmin bereits am Tag vor der Geburt ihrer zweiten Tochter, dass es jetzt bald losgehen würde. Zwei Dinge mussten allerdings noch erledigt werden bevor sie richtig losslassen konnte. Vielen Dank liebe Jasmin für Deinen Gänsehaut-Bericht zu Eurer Hausgeburt.
Mein Weg zur Hausgeburt
Jasmin schreibt darüber, warum man nicht immer das Ende wissen muss, um den Anfang zu wagen. Was das Leben für uns bereit hält, wenn wir auf uns vertrauen und warum wahre Sicherheit nur von innen kommt.
Durch dich lerne ich, für dich wachse ich.
Ein Jahr ist es nun her, dass Jasmin diese Kolumne begonnen hat. Ein Jahr Mama-Sein. Ein Jahr Wachstum in ungeahntem Ausmaß.
Fast ein wenig nostalgisch verfasst sie den letzten Artikel und blickt ehrfürchtig auf die vergangenen 12 Monate zurück.
0 Kommentare